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VRS-Gespräch zu Herausforderungen und Perspektiven für den ÖPNV

„Ich warte auf das autonome Fahren. Das ist eine große Chance.“

Das Interview als Textfassung:

Beim diesjährigen VRS-Gespräch kommen zwei „alte Bekannte“ in den Dialog: VRS-Geschäftsführer Michael Vogel ist zu Besuch auf dem OVAG-Betriebshof in Gummersbach und trifft Geschäftsführerin Corinna Güllner, die er bereits seit über 20 Jahren kennt. Ein Gespräch über Herausforderungen und Perspektiven für den ÖPNV, Technologien und Menschen, über Visionen und die Tatsache, dass Problemstellungen in einem regionalen Verkehrsunternehmen gar nicht so verschieden sind von jenen in einem Großkonzern.

Ein Gespräch in bester (Verkehrs-)Gesellschaft

Michael Vogel (MV): Wir sind hier auf dem Betriebshof der OVAG, der Oberbergischen Verkehrs-AG. Wir sitzen…

Corinna Güllner (CG): Oberbergische Verkehrsgesellschaft!

MV: Gesellschaft!

CG: Wir sind keine AG mehr.

MV: Ach so, ja, stimmt, da gab es mal eine Veränderung. Ja. Und wir sind in einem Bus. Wie sich das gehört für ein Nahverkehrsunternehmen, dass man sich in einem Fahrzeug begegnet. Und da steht auch viel Werbung drauf, da steht was von Monti drauf – witziger Name! Wie seid Ihr darauf gekommen und was verbirgt sich dahinter?

CG: Also, der Monti ist unser On-Demand-Service, der ja auch bundesweit so über jeden Kongress propagiert wird. Der Kreis und die Stadt Wiehl, wo wir diesen Service anbieten, waren da auch sehr stark interessiert dran. Wir sind gestartet im November 2021 mit dem Monti. Du hattest gefragt nach dem Namen. Wir haben da mit einem sehr kleinen Projektteam zusammengesessen, unter anderem eben auch den Namen gesucht. Hatten da sehr viele Vorschläge, und am Ende haben wir aber gesagt: Ach, der Monti klingt nett, da kann man sich vorstellen, man sitzt in einer Kneipe und sagt „Na ja, lass uns doch gleich mit dem Monti nach Hause fahren“. 

Ja, wir sind klein gestartet mit zwei Fahrzeugen und neun Fahrern und haben eben seitdem unsere Erfahrungen – unsere eigenen Erfahrungen – mit diesem Angebot gesammelt. Wir sitzen heute auch in einem Monti-Bus. Dieser Bus ist also auch designt worden mit dem gleichen Design wie Monti.

Erstklassige Gesprächsgrundlage

Corinna Güllner und Michael Vogel erkunden die Fahrzeuge der OVAG.

Erstklassige Gesprächsgrundlage

Corinna Güllner und Michael Vogel erkunden die Fahrzeuge der OVAG.

Eine Bildergalerie zeigt, wie unsere Gesprächspartner den Betriebshof erkunden und in einem Bus der OVAG sowie in einem Monti-Fahrzeug Platz nehmen und miteinander sprechen.

On-Demand-Verkehr verlangt massive Zuschüsse

MV: Man verbindet irgendwie On-Demand-Verkehre eher mit großstädtischen Angeboten, obwohl die Bedarfsverkehre ja eigentlich mal im ländlichen Raum entstanden sind. Es ist auch noch nicht üblich, dass im ländlichen Raum On-Demand-Verkehr so angeboten wird. Wo liegt da eigentlich die Komplexität?

CG: Das ist nicht … Ja, die einzige Komplexität liegt im Thema Finanzierung. Also, dass das ein Zuschussgeschäft ohne Ende ist, ist ziemlich offensichtlich. Das heißt, wenn da nicht weiterhin Bundes- oder Landesförderung kommen, wird sich das auf Dauer keine Kommune leisten können. Verkehrlich lässt sich das alles organisieren. Wir sind ein Verkehrsunternehmen, also können wir auch so einen Verkehr organisieren…

MV: Klar. Kernkompetenz.

CG: …aber die Finanzierung ist eigentlich der wesentliche Faktor dafür.

MV: Das zieht sich ja wie ein roter Faden durch die ganze Branche.

CG: Ja. Und insofern, wenn man mehr Gruppen als den Schülerverkehr ansprechen möchte, dann müssen wir ins Angebot investieren. 

Über persönlichen Antrieb und Antriebstechnologien

MV: Wir kennen uns ja schon lange. Wir haben uns ja bei der Deutschen Bahn kennengelernt, in einem Großkonzern, schon vor über 20 Jahren. Aber das ist natürlich auch ein großer kultureller Unterschied: Aus der Bahn kommend, aus einem Großkonzern, hier in die OVAG. Wie hast Du das empfunden?

CG: Also, dazwischen waren ja auch noch zwei andere berufliche Stationen, insofern war jetzt nicht der Sprung direkt vom Konzern in ein regionales Busunternehmen. Für mich ist es immer wichtig gewesen, dass ich mit meiner Arbeit auch etwas bewege, auch ein Ergebnis sehe. Das war damals bei DB Regio NRW ja auch der Fall. Und letztendlich ist es heute auch nicht so viel anders. Wir haben viele Themen und wir haben gute Ideen und wir müssen gucken, dass wir die irgendwie umgesetzt kriegen. Ich habe ähnliche Themenvielfalt, also ein Deutschlandticket oder eine neue Antriebstechnologie trifft uns genauso wie ein großes Unternehmen.

MV: Stichwort Antriebswende, neue Antriebstechnologie: Da müsst Ihr ja genauso liefern, wie ein Großunternehmen auch. Wie geht Ihr damit um?

CG: Ja, das ist die Herausforderung der nächsten Jahre. Wir werden also bei uns erstmal auf Wasserstoff-Technologie setzen. Weil es für die Topografie hier einfach die zunächst mal besser geeignete Technologie ist. Und jetzt bin ich also sehr gespannt, wann unser erster Wasserstoff-Bus kommt, aber der Bus alleine reicht ja nicht…

MV: Nein, natürlich nicht.

CG: …wir müssen sehr viel an der Infrastruktur tun. Das ist nicht nur die Tankstelle, sondern das sind auch so Kleinigkeiten wie „Wo stelle ich den Bus ab?“. Wenn Wasserstoff entweichen sollte, dann muss ich entsprechende Lüftungen haben. Oder die Höhe der Waschstraße unserer Busse wird nicht ausreichen, weil die Wasserstoff-Busse eben noch einen Aufbau haben.

Rollende Stellenanzeigen

Die Werbeflächen der OVAG-Busse dienen schon länger auch dem Recruiting. 

Rollende Stellenanzeigen

Die Werbeflächen der OVAG-Busse dienen schon länger auch dem Recruiting. 

Eine Bildergalerie zeigt mehrere Busse der OVAG und ihre Werbeflächen auf der Rückseite.

Bundesweit leergefegter Fahrermarkt

MV: Aber so ein Bus fährt sich ja auch nicht nur alleine. Die Technologie ist ja das eine, aber das andere Problem ist natürlich die Rekrutierung des entsprechenden Personals.

CG: Definitiv ist das neben dem Thema Finanzierung eines der größten Hindernisse für den Ausbau des Angebots. Grundsätzlich, denke ich, haben wir als Branche echt gute Karten, attraktiv zu sein. Weil wir schon was anbieten können. Wir haben eine sinnstiftende Arbeit, wir haben ein gutes Produkt. Man kann auch wirklich was bewegen und sieht auch das Ergebnis. Also, der Fahrermarkt ist faktisch bundesweit leergefegt. Das ist ja für wirklich bundesweit jedes Verkehrsunternehmen ein großes Thema. Also wir haben tatsächlich in den letzten Wochen unsere Recruiting-Kampagne noch mal etwas verschärft. Wir setzen sehr stark, wie auch insgesamt die Branche ja auch, auf Quereinsteiger. Weil es ist ein Beruf, den kann ich in jedem Lebensalter fast – also, körperliche Voraussetzungen müssen natürlich stimmen, Reaktionsgeschwindigkeit muss passen, man muss gut sehen können – aber ansonsten bin ich komplett offen. Also, wertstiftende Arbeit – und mir fehlt einfach in erster Linie auch so ein bisschen Wertschätzung für diese Arbeit in unserer Gesellschaft.

Ja, also wir haben unsere Kommunikationsaktivitäten definitiv verstärkt und müssen da natürlich trotzdem noch immer noch mehr machen. Weil wir haben zwar nicht überall ein üppiges Angebot, aber an vielen Stellen kommt man dennoch, auch heute schon, sehr gut mit dem Bus ans Ziel. Und das ist manchen Leuten einfach gar nicht bewusst. Das eine ist das Angebot, aber das andere ist für mich tatsächlich auch das Thema Verhaltensveränderung. Menschen hier sind einfach sehr stark gewöhnt, mit dem Auto zu fahren und die OVAG wird sehr häufig verbunden mit Schülerverkehr. Und das ist es ja nun auch, aber eben nicht nur. Man muss ein bisschen besser planen, man muss immer sich mit dem Fahrplan auseinandersetzen, bis vor Kurzem musste man sich auch mit einem etwas komplizierteren Preissystem auseinandersetzen…

Das Deutschlandticket bedroht die Finanzierungsgrundlage

MV: Preissystem ist ein tolles Stichwort. Weil ich glaube, man würde sich als Außenstehender wundern, dass wir in der Lage sind, uns zehn Minuten oder eine Viertelstunde zu unterhalten über Herausforderungen, ohne einmal dieses sensationelle Deutschlandticket erwähnt zu haben, was ja seit Monaten die Szene komplett beherrscht. Thema Finanzierung: Jetzt wird uns eine Stellschraube sozusagen ein gutes Stück weit aus der Hand genommen. Das Ganze gekoppelt mit der Unsicherheit, dass wir gar nicht wissen, wie es nächstes Jahr weitergeht. Wie spiegelt sich das bei Euch wider?

CG: Also, das Deutschlandticket bringt gewachsene Finanzierungsstrukturen erstmal massiv ins Wanken. Und meine große Sorge ist tatsächlich: Was passiert, wenn diese Ausgleichzahlungen nicht mehr gesichert sind? Dann nimmt man uns wirklich die Finanzierungsgrundlage. Also, das ganze Thema Deutschlandticket-Umstellung hat uns natürlich nicht nur finanziell, sondern auch in der rein vertrieblichen Abwicklung vor erhebliche Herausforderungen gestellt.

MV: Ja, und wie siehst Du die Herausforderungen jetzt in den nächsten Wochen und Monaten, wenn diese Themen rum sind, und was wünschst Du Dir mittelfristig für die OVAG?

CG: Ja, also wir arbeiten wirklich an vielen Themen. Wir hatten ja jetzt auch die Chance, ein Bundesförderprogramm zu gewinnen. Wir kriegen also jetzt über einen Zeitraum von drei Jahren knapp zehn Millionen Euro Fördermittel. Einerseits für den großen Schwerpunkt Angebotsausbau – Teil davon ist auch eben die Ausweitung des Monti, den wir also auch über dieses Bundesprojekt jetzt ja finanzieren – und wir haben aber auch eine ganze Reihe von Maßnahmen, die Richtung Digitalisierung gehen. Da erhoffen wir uns schon einen großen Qualitätssprung, gerade was das Thema Fahrgastinformation angeht. Da sind wir schon auf einem ganz guten Weg, da macht ja auch der VRS sehr viel, wo wir auch sehr froh sind über die Unterstützung, aber da geht eben auch noch viel, viel mehr.

Gutes im Schilde

Corinna Güllner hat noch einiges vor bei der OVAG. 

Gutes im Schilde

Corinna Güllner hat noch einiges vor bei der OVAG. 

Eine Bildergalerie zeigt Corinna Güllner, wie sie Michael Vogel Exemplare der neuen Haltestellenschilder vorführt.

MV: Ja, und so ein bisschen visionär? Also, wenn Corinna Güllner zurückblickt auf ihr Schaffen bei der OVAG, was will sie dann sehen?

CG: Also, ich glaub, wir haben schon Einiges bewegt hier. Das bin ja nicht ich alleine, wir haben ja auch eine tolle Mannschaft im Hintergrund. Wir hatten vor zwei Jahren ja angefangen mit einem großen Schilderprojekt – also auch mit Unterstützung vom, damals noch, NVR. Wir haben dann das Geld bekommen und mussten gucken, wie wir 1.800 Haltestellenschilder austauschen. Wir haben jetzt alle Linien ordentlich aufgeführt mit Linienweg und so weiter, haben die Aushänge ein bisschen vergrößert, dass man es auch besser lesen kann. Es ist ein kleiner Baustein, es wird die Leute nicht zum Umstieg bewegen, aber es ist ein kleiner Baustein. 

Antriebstechnologie ist dann sicherlich eines der großen nächsten Themen. Ich bin durchaus auch jemand, der an technischen Fortschritt glaubt, und ich warte auf das autonome Fahren. Ich weiß nicht, wie lange ich darauf noch warten muss, aber es ist eine große Chance für die öffentliche Mobilität, aber für ein kommunales Unternehmen natürlich auch mit gewissen Risiken verbunden. Weil, wenn ich damit Geld verdiene, dann glaube ich, dass da andere Konzerne…

MV: Dann kommen andere, auf jeden Fall!

CG: … auf den Markt strömen und wir da um unseren Platz noch kämpfen müssen. Aber ich sehe eben für die Mobilität schon auch große Chancen in dem Thema.

MV: Ja, liebe Corinna, ich sehe, dass – und ich hoffe auch, dass unsere Zuseher das feststellen werden – dass das hier ein komplexer Betrieb ist, wo alles geboten wird, was ÖPNV zu bieten hat. Und deswegen vielen Dank für das Gespräch, und ich wünsche Dir weiter alles Gute für die Zukunft.

CG: Ja, vielen Dank, sehr gerne!

Unterwegs in die Zukunft

Vielleicht geht es irgendwann mit autonom fahrenden Bussen durchs Bergische Land. 

Unterwegs in die Zukunft

Vielleicht geht es irgendwann mit autonom fahrenden Bussen durchs Bergische Land. 

Eine Bildergalerie zeigt Corinna Güllner, wie sie Michael Vogel Exemplare der neuen Haltestellenschilder vorführt.
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